Als ein Ritual wird eine festgelegte, immer gleich ablaufende Handlung beschrieben. Oft mit zeremoniellem Charakter und meist mit sehr hohem Symbolgehalt (Ein Symbol ist in diesem Fall ein Sinnbild mit meist metaphorischer Bedeutung für eine bestimmte Grupierung, einen bestimmten Zustand oder ein bestimmtes Gefühl. ) Dabei unterscheiden wir (Menschen) verschiedene Typen von Ritualen. Erwähnen möchte ich hier beispielsweise Rituale mit religösem Hintergrund (religiöse Feiertage oder Brauchtümer, oder die Art und Weise, wie Feiertage begangen werden), “weltliche” Rituale (Begrüßungen, Abschlussfeiern, Hochzeiten usw.) oder – die familiären, ganz persönlichen Rituale, die oft nur in diesem speziellen Familienverband oder nur zwischen bestimmten Sozialpartnern gezeigt werden.
Diese “persönlichen” Rituale – also frei von abergläubischem, religiösem oder anderweitig dogmatisiertem Hintergrund sind für den Aufbau von persönlichen Bindungen und Beziehungen in einem Sozialverband (einer Gruppe, Familie usw. ) ungleich wichtiger, da sie Zusammenhänge auch über einen längeren Zeitraum hin “fühlbar” machen und festigen – und so die Aufs und Abs im täglichen Leben begleiten und auszugleichen vermögen.
Menschen brauchen Rituale – sogar diejenigen, die behaupten keine zu haben und zu brauchen, stellen bei genauerem Hinsehen fest, dass sie durchaus ihre eigenen Rituale und ihre Ritualsprache entwickelt haben. Interessant zu beobachten ist auch, dass viele Paare, sobald sie Nachwuchs bekommen haben, ganz bewusst bestimmte Rituale einführen oder Rituale aus ihrer eigenen Kindheit wieder aufleben lassen. Ob es die Gutenachtgeschichte ist, der Zettel auf dem Küchentisch oder das gemeinsame Frühstücken am Wochenende (und nur DANN gibts frische Croissants und ein Ei) und danach eine gemeinsame Unternehmung ist – Rituale (oder immer wiederkehrende bestimmte Abläufe) geben dem Leben Struktur, schenken Geborgenheit und Sicherheit und stärken Ich- und Wir-Gefühl.
Der Hirnforscher Gerald Hüther erklärt, dass individuelle Rituale eine sehr große Wirkung, vor allem auch in der Stressbewältigung, zeigen.
Rituale vermindern Stress
Gerade in Krisensituationen sind ritualisierte Handlungen besonders wichtig. Denn Angst und Stress sorgen für Unruhe in den neuronalen Netzwerken des Gehirns. Die Nervenzellen feuern ungeordnet – und das sorgt für somatische Reaktionen: Die Knie werden weich, der Atem stockt, die Hände zittern. Wiederkehrende Abläufe können laut Hüther in solchen Situationen enorm helfen. Rituale synchronisieren die gestörte Beziehung der Nervenzellen, die Information fließt wieder in geordneten Bahnen. „Man kann sich diesen Informationsfluss vorstellen, wie Menschen, die im Park spazieren gehen und einem bestimmten Weg folgen, statt wild durcheinander zu laufen“, sagt Hüther.
Der Hirnforscher rät, Rituale als Bewältigungsstrategie ganz gezielt einzusetzen. Dabei geht es nicht darum, an starren Regeln und überholten Traditionen festzuhalten, sondern sich Aktivitäten zu suchen, die man gerne in seinen Tagesablauf integriert. Allgemeingültige Regeln, welche Rituale besonders gut helfen, gebe es nicht. Jeder müsse für sich selbst herausfinden, was ihm gut tut.
Von bloßem Aktivismus und Ablenkungsmanövern in Krisenzeiten hält Hüther dagegen nicht viel. „Shoppen oder Fernsehen sind nur eine Art Ersatzbefriedigung. Vorrübergehend schaffen sie Ablenkung, lösen aber das eigentliche Problem nicht.“ Bewusste Rituale dagegen lenken den Blick nach innen statt nach außen – und sie können nicht abhängig machen.
Wie können wir diese Informationen nun für das Zusammenleben mit Hunden umsetzen?
Gerade für Hunde, die unter Stress, Angst, Unsicherheit usw. leiden, sind immer wiederkehrende Abläufe sehr wichtig. Das heisst jetzt nicht, dass man immer den gleichen Spazierweg täglich Punkt
11:30 Uhr absolvieren muss, sondern eher, dass der Tagesablauf strukturiert und somit für den Hund berechenbar wird. Andersherum ausgedrückt hilft es auch oft schon, nicht
bewältigbare Situationen für den Hund zu minimieren oder ihm dann besondere Unterstützung zu geben, auf die er sich verlassen kann. Das “sich verlassen können” lernt ein Lebewesen aus
immerwährender Bestätigung dieser Verlässlichkeit in ähnlichen Situationen. Also – man verhält sich in den gleichen Situationen immer gleich und kann somit eine “Ritualisierung” herbeiführen, die
dem Hund Sicherheit gibt.
Es hilft solchen Hunden auch oft ungemein, wenn sie sich “Ankern” können – also genau wissen, was als nächstes kommt. Und dabei helfen Rituale. Oft schon so Kleinigkeiten wie der Ochsensziemer
nach dem Morgenspaziergang, die Schmuserunde nach dem Aufwachen, das Betthupferl usw.
Was bedeuten Rituale für den “ganz normalen Hund”?
Sind wir doch mal ehrlich – wir sind Menschen – und insgeheim stehen wir total auf diesen Ritualkram. Mein Hund ist jetzt 7 Jahre alt – und holt sich nach Erledigung seiner größeren Geschäfte immer noch seinen Keks bei mir ab. Nicht, weil er ihn bräuchte – nein – weil es uns beide einfach glücklich macht. Sie sollten sehen, wie er grinsend angerannt kommt und kaum bremsen kann, mich anstrahlt und auf seinen Keks wartet. Als hätte er das tollste von der Welt für mich getan. Und ich freue mich, wenn er sich freut … UND – ich hab die Gewissheit, dass der Herr Hund gehäufelt hat…. Wenn er einfach nur zum Schnüffeln unterwegs war und dann kommt … dann ist er halt einfach da. Dieses Gesicht gibts NUR bei erledigtem Geschäft…
Oder ein anderes kleines Ritual… das hat sich so eingebürgert, wurde nie konditioniert oder beabsichtigt – aber das ist jetzt so und es ist einfach wichtig für ihn…
Wenn ich abends ins Bad gehe und mir die Zähne putze, geht Jasko schon beim Geräusch der elektrischen Zahnbürste in seine Box. Zähneputzen heisst Schlafen. Schlafen heisst Betthupferl. Ganz
einfach irgendwie :-)
Wenn ich fertig bin, bekommt er IMMER eine Kleine Kleinigkeit in seiner Box. Dabei ist es vollkommen egal, ob es ein Stück Trockenfutter oder ein großes Stück Trockenpansen gibt. Es geht um die
Handlung an sich.
Und so würden mir noch einige Sachen einfallen, die durchaus Ritualcharakter für uns beide haben – und wenn ich ganz ehrlich bin – sind sie mir genauso wichtig, wie meinem Hund. Es fühlt sich so
an wie … hm… bei einem alten Ehepaar – man kennt sich, vertraut sich, weiss sich einzuschätzen und es haben sich kleine liebevolle Handlungen eingebürgert, die bei manch andrem vielleicht
schrullig oder seltsam wirken, die jedoch eine wirklich echte Bedeutung für eben DIESE Beziehung haben…
Denken Sie einfach mal darüber nach, welche kleinen Rituale Sie mit Ihrem Hund verbindet – sie werden erstaunt sein, wieviele Kleinigkeiten es gibt, die immer gleich ablaufen – und über die man eigentlich gar nicht weiter nachdenkt, was sie bedeuten…. und die doch so eine große Bedeutung haben können. Und haben Sie keine? Na – dann erfinden Sie eben welche – Sie werden sehen, es macht einfach Spaß :-)
© Sabine Wöhner 2013
[Quellen: Focus 4/2012, DerSpiegel 3/2009, Dr. Gerald Hüther:Biologie der Angst, wie aus Stress Gefühle werden]