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Alles nur Spiel?

“Spiel ist ein biologisches Bedürfnis, so wie Schlafen und Träumen. Das Gegenteil von Spielen ist nicht Arbeit – sondern Depression”
Stuart Brown hat das Spielen wissenschaftlich untersucht, nachdem er bei der Arbeit mit Mördern eine erstaunliche Gemeinsamkeit entdeckt hatte: Die Mörder konnten in ihrer Kindheit nicht spielen. 1)
Man hört es oft – und man hört es immer wieder: “Wir entscheiden, wann ein Spiel beginnt und wann es zuende ist”, “Der Hund darf das Spiel nie gewinnen, sonst wird er dominant”, “Hunde müssen nicht miteinander spielen”, “Hunde müssen nicht mit Menschen spielen” … so oder so ähnlich hat es sicher fast schon jeder Hundehalter irgendwann von irgendwem in irgendeinem Zusammenhang schon gehört.
Was ist dran an solchen Aussagen und wie sind sie verhaltensbiologisch zu bewerten? Was ist Spiel, was ist es nicht?

 

In folgendem Artikel möchte ich mit einigen Mythen aufräumen und erklären, warum Spiel so wichtig sein kann.

 

Was bringt der Hund mit, um mit dem Menschen einen Sozialverbund einzugehen?

  • Hunde sind Lebewesen mit “Familiensinn”
  • die Gründe für das Familientier liegen fest verankert in seiner Verhaltensbiologie. So werden bei Primaten (zu denen auch die Gattung “Mensch” gehört) einige Tiere aus eigenartigen Gründen zum Ranghöchsten (meist die, die am meisten Rabatz machen…).  Bei Caniden (Hunde und Hundeartige) hingegen sind die Kriterien für einen hohen Rang etwas anders.
  • es sind vom Familienoberhaupt bestimmte Aufgaben zu erfüllen (Futtersuche, Ordnung im Rudel usw.)
  • er muss stets und immer den Überblick bewahren.
  • er steht ständig unter Beweislast (=> STRESS!! Die wenigsten Hunde tun sich das freiwillig an – denn im Gegensatz zu uns Primaten ist eine hohe Position auch mit Gegenleistung verbunden)

Aus diesen Gründen ist normalerweise im Rudel ein absolut entspannter Umgang möglich, da die Fronten geklärt sind, und die Souveränität des Ranghöchsten anerkannt wird

 

Was bedeutet Spiel für den Hund?

  • Training für den Ernstfall
  • Souveränität wird erlernt – durch berechenbares Verhalten beweist man Führungskompetenz

Wir können festhalten, dass aus vorangegangen Gründen beim Spiel absolut jedes Rollenverhalten aufgehoben wird.
Spiel ist grundsätzlich frei von Rangordnungsprinzipien! Es dient dem Lernen von Verhaltensweisen, die für das Funktionieren eines Rudels absolut notwendig sind!

 

Was ist über die weitverbreitete Theorie “der Hund darf nie gewinnen, oder das Spiel anfangen” zu sagen?

“gewinnt” ein rangniedriges Tier ein Spiel, kann man beobachten, dass es verstärkt zu Versöhnungsverhalten kommt.

  • Anstubbsen mit der Nase
  • gehäufte Kontaktaufnahme

Sensible Tiere “denken”, sie müssten einlenken, wenn sie sich “falsch” verhalten haben und wollen durch das Anstubbsen nachfragen, ob noch alles in Ordnung ist.

 

 

Hunde sind untereinander NICHT nachtragend!
Sie werden es auch im spielerischen Umgang mit dem Menschen nicht sein!!
Spielen fördert soziales Verhalten.

Hunde, die niemals gewinnen dürfen, oder immer abgewiesen werden, wenn sie zum Spiel auffordern, erleiden unter Umständen schwere seelische Schäden!
Spielen ist für Hunde lebensnotwendig, um zu lernen und auch um zu entspannen

 

 

Spielsignale

 

Es ist für uns Menschen sehr wichtig, Spielsignale zu erkennen, um unter Umständen einzugreifen!

 

Folgende Spielsignale kann man beschreiben:

  • sich  (oft auch “grinsend”) in den Blickwinkel bringen (interessanterweise verstehen unsere Hunde, dass man sie SEHEN muss, um auf sie zu reagieren. Primaten (affenartige) haben hierzu kaum Zugang)
  • Spielaufforderung durch Vorderkörpertiefstellung (Bücken, Verbeugen)
  • droht das Spiel zu “kippen”, wird sehr viel Blickkontakt gehalten (um sich zu vergewissern, ob noch alles in Ordnung ist). Meist wird dabei ein “Spielgesicht” aufgesetzt, um die Situation zu deeskalieren. Dies dient alles, damit die Spielenden sich über die Harmlosigkeit des Spiels vergewissern können
  • Spielsignale haben auch eine Funktion als vorbeugende Entschuldigung.

Interessanterweise ähneln die Spielbewegungen den idealen Anforderungen einer Trainingsumgebung für körperliches Workout. Muskelgruppen werden nacheinander trainiert, ähnlich einem Zirkeltraining und somit optimal entwickelt.

Die Hunde können beim Spiel durch Impulse und immer wechselnde “Erklärungen” einer Situation lernen, Zusammenhänge besser zu verstehen.

Wie erkennt man Spielverhalten?

Folgenden Punkte können Ihnen helfen, Spielverhalten zu erkennen. So können Sie auch unter Umständen “gekipptes” Spielverhalten identifizieren und beenden.

Rollenwechsel

  • Solange die Rollen gewechselt werden (mal ist der Jäger der Gejagte und der Unterlegene steht oben), ist alles in Ordnung.
    Man kann, solange ein Rollenwechsel stattfindet, davon ausgehen, dass beide noch mit großem Spaß beim Spiel sind.

Selbsthandicap

  • Hunde begeben sich öfter in die unterlegene Position, wenn sie älter oder größer sind.
  • Hunde aus dem gleichen Haushalt oder einer engen Gruppe, zeigen dieses Verhalten ziemlich häufig.
  • Leben Hunde nicht im Sozialverbund zusammen, zeigen sie das Verhalten (Selbsthandicap) in geringerem Maße. Hunde, die sich länger kennen hingegen schon.

Aufhebung von sozialen Regeln

  • Rangpositionen werden im Spiel nicht durchgesetzt, alle sind gleich.
  • Bindungen anderer Art werden öfter aufgehoben. Das bedeutet z.B. dass zwei Hunde, die enge Freunde sind und im gleichen Haushalt leben, sich “trennen”  und einer der beiden mit einem fremden Hund “gegen” seinen Freund spielt.
    Dies dient auch der Neueinschätzung des anderen und zur Orientierung.
    Im Ernstfall müssen sich diese beiden Hunde ja aufeinander verlassen und können sich so besser kennenlernen. Auch wenn es den gegenteiligen Eindruck hat, festigt ein solches Verhalten die Bindung zweier Partner

Ständige Wiederholungen des Spielvorgangs

  • Spielverhalten wird immer und immer wiederholt. Ein Ernstfall endet immer mit der Endhandlung.

 

 

Spielverhalten findet ausschließlich in entspanntem Umfeld statt!
So spielen wilde Hunde zum Beispiel direkt nach dem Essen (entspannende Tätigkeit)
Hat der Mensch schlechte Laune, herrschen soziale Spannungen in der Familie oder herrscht Stress durch anderweitige Faktoren, wird kein Hund spielen!!

 

 

Was ist die Bedeutung des Spielverhaltens?

 

Körperliches Training

  • der Rhythmus des Spielverhaltens bei Jungtieren entspricht den optimalen Empfehlungen der Sportmedizin für einen ausgeglichenen Muskelaufbau (Zirkeltraining – Intervalltraining)

Geschicklichkeit

  • Bewegungen werden trainiert, Handlungsketten werden geübt. Spielen ist eine Möglichkeit, später schneller und “besser” zu handeln. Bewegungsabläufe werden optimiert, der Energiehaushalt wird optimiert

Aktiviert die Lerndroge Dopamin

  • Spielen versetzt das Gehirn in freudige Vorstimmung.
  • Der Hund kann sich bei ähnlichen Situationen an diesen Zustand “erinnern”.
  • Das Lernen wird gelernt

LERNEN IST SELBSTBELOHNEND! HUNDEN, DIE NICHT SPIELEN DÜRFEN, FEHLT DIE FREUDE AM LERNEN!

 

Räumliche Orientierung

  • Wenn im Spiel ein Hund gefördert wird, werden die entsprechenden Teile in der Hirnrinde dicker. Das Hirn wird besser “ernährt” und die Verknüpfungen gehen schneller und besser. Es werden mehr Schaltzellen erzeugt.
  • Dieser Prozess ist bekanntgeworden durch das Gegenteil. z.B. bei Welpen, die sich nicht bewegen dürfen. Darf ein Hund zum Beispiel keine Treppen laufen, wird er nie lernen, dreidimensional zu sehen!

Beziehungsbildung

  • Spielen hat eine große Bedeutung bei der Ausbildung von sozialen Beziehungen. Als Beispiel kann man hier die “Neuverlobung” vor der Läufigkeit , welche eine erneute Bestätigung der Paarbindung bedeutet, nennen.

Lernen von Fairness

  • Viele Dinge können nur dann gelernt werden, wenn ein Spiel aus dem Ruder zu laufen droht. Deswegen sollte man nur in Situationen eingreifen, die wirklich gefährlich werden können.
  • Durch einen erwachsenen, gut sozialisierten älteren Hund in der Gruppe lernen die Welpen ihre Grenzen kennen – oder bekommen Selbstvertrauen.
  • “Hunde müssen auch an der Vermeidung negativer Konsequenzen lernen dürfen” (Dr. Udo Gansloßer)

 

Wer neugierig geworden ist, und mehr über das Thema Spielverhalten lernen möchte, dem kann ich das Buch von Mechthild Käufer empfehlen


1) Play: How it Shapes the Brain, Opens the Imagination, and Invigorates the Soul, Stuart Brown M.D, 2010